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Südafrika unter Beschuss in der deutschen Presse. Rechtzeitig zum Saisonbeginn trommelt die Journalie mit Negativschlagzeilen: 100 Morde am Tag und 1000 Aidstote. Wie es wirklich aussieht am Kap der guten Hoffnung - dazu die Bilder. , Reiseberichte, Fotos, Bilder, Reiseinformation, Reisetipps weltweit. Schreiben Sie Ihren Reisebericht. Zeigen Sie Fotos und Bilder online. Reiseerfahrung mit anderen teilen!
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Am Kap der Angst

Am Kap der Angst - hier der Artikel. Ähnliches stand im Spiegel usw.

Der Artikel erschien im Dezember in vielen Zeitungen in Deutschland und Österreich.


Südafrika gilt in Deutschland als Ferienparadies. In Wahrheit ist es ein Land, geprägt von Mord, Totschlag, Vergewaltigung. Der Blutzoll ist höher als in mancher Bürgerkriegsregion: Seit Ende des Apartheidregimes sind 420.000 Menschen umgebracht worden.

Von Thomas Knemeyer


Auf ihrem Weg zur Arbeit machte Dina R. an diesem Tag einen kurzen Abstecher. Die 24jährige Frau hielt an einem Taxistand an. Sie fixierte einen Mann, den sie noch nie getroffen hatte, ging auf ihn zu und fragte ohne Umschweife, ob er bereit sei, ein Verbrechen auszuüben. Gegen Bezahlung, versteht sich.

Der 33jährige Taxifahrer Sipho M. nickte. Was zu tun sei und was es bringe? „Sie müssen ein Kind umbringen, ich zahle 5000 sofort, 5000 hinterher“, sagte die Frau. Abgemacht. Eine Woche später war die sechs Monate alte Jordan-Leigh tot, erstochen in ihrem Kinderzimmer.

Ein Baby-Mord kostet 900 Euro

Eine Bluttat, die im Juni vergangenen Jahres – das Verfahren läuft noch – selbst die abgestumpfte Bevölkerung Kapstadts erschütterte: so einfach und so billig (umgerechnet 900 Euro) ist es also, in der liberalen Mutterstadt Südafrikas einen Mord an einem Baby zu bestellen.

Das Verbrechen repräsentiert zufälligerweise die Gesellschaft am Kap. Die mutmaßliche Drahtzieherin: eine Weiße aus gutem Haus, die soeben erfuhr, dass ihr neuer Liebhaber eine Vaterschaftsklage am Hals hat und die in ihrer rasenden Eifersucht „das Problem aus der Welt“ schaffen will. Die mutmaßlichen Täter: vier Schwarze im Alter von 16, 18, 24 und 33 Jahren, die gegen Bezahlung offenbar zu allem bereit sind. Das Opfer: ein Kind einer Mischlingsfamilie.

Erschütternde Polizeistatistik

In Südafrika werden laut Polizeistatistik täglich 85 Menschen ermordet oder totgeschlagen; bei weiteren 56 Menschen bleibt es bei versuchtem Mord. Täglich werden im Durchschnitt 86 Frauen und 64 Minderjährige vergewaltigt, wobei dies nur zehn Prozent der tatsächlichen Vergewaltigungsrate ausmachen dürfte. 328 Menschen werden schwer beraubt, davon 35, die in ihren Autos entführt und 28, die in ihren Häusern mit Waffengewalt bestohlen werden. 235 Autos werden gestohlen, in 381 Autos wird eingebrochen, zudem in 868 Häuser und Geschäfte.

„Wollen sie wissen, was am vergangenen Wochenende los war?“ Der Kripo-Mann, einer der besten Polizeikommissare des Landes, greift hinter sich und blättert in seinem aktuellen Lagebericht. „45 Morde, 20 versuchte Morde, 68 bewaffnete Überfälle. Nur in Kapstadt. Und das war ein ganz normales Wochenende.“ Zwei Kollegen betreten an diesem sonnigen Morgen sein Büro, auch sie bearbeiten einen Mordfall. Eine kurze Debatte entsteht, ob man dem Tatverdächtigen Kaution gewähren sollte. Der Kommissar widerspricht energisch: „Nein! Auf keine Fall. Leute, so gewinnen wir nie den Krieg!“

Nichts ist von Mandelas Versprechen geblieben

Krieg – das Wort ist angebracht, denn nicht einmal Bürgerkriegsländer haben einen Blutzoll wie Südafrika zu beklagen. Vor zwölf Jahren versprach Altpräsident Mandela dem neuen Südafrika neue Freiheiten: von Not, Hunger, Ignoranz, Unterdrückung und und Angst. Von letzterem ist nichts zu sehen. Jede dritte der über zwei Millionen Straftaten, die bei der Polizei alljährlich zur Anzeige gebracht wird, falle in den Bereich der „personbezogenen Gewalt“, stellte das südafrikanische Institut für Sicherheitsstudien dieser Tage fest.

Konkret: seit der Demokratieerlangung sind am Kap fast 420.000 Menschen ermordet (272.407) und totgeschlagen (146.523) worden, mehr als 650.000 Frauen wurden vergewaltigt. Wobei die wahre Ziffer bei diesem Verbrechen erheblich höher liegen dürfte: bis zu 80 Prozent aller Vergewaltigungen werden der Polizei nicht gemeldet, erklärten Experten, weil der Täter aus dem Familien- und Freundeskreis stammt.

Viele Opfer kennen die Täter

Statistisch kennt in diesem Milieu – schwarz, einkommensschwach – jedes zweite Mordopfer den Täter, zwei Drittel der Vergewaltigten kennen ihren Vergewaltiger. Dieses gesellschaftliche Phänomen nahm der Polizeiminister Charles Nqakula zum Anlass für eine verblüffende Verteidigung der miserablen Aufklärungs- und Überführungsarbeit seiner Beamten. „80 Prozent aller Straftaten sind sozial bedingt, da kann die Polizei nur reagieren“, erklärte Nqakula. Er wiederholte damit eine Bemerkung seines Chefs, Präsident Thabo Mbeki, der unlängst im Parlament erklärte, man könne schließlich nicht „in jedem Wohnzimmer einen Polizisten“ postieren.

Der Intellektuelle Mbeki, 64, spickt seine Reden allzu gern mit Zitaten aus der Bibel und diversen Dichter-Werken. In vier großen Ansprachen dieses Jahres kam er auf beachtliche 21.600 Worte. Das Wort „crime? (Verbrechen) kam dabei exakt vier Mal und nur beiläufig vor. Das Wort „Aids“ zwei Mal. Mbeki, der Mitte 2009 abtreten muss, hat diese beiden Krisen – Aids fordert nun täglich eintausend Todesopfer - wohl innerlich als unlösbar abgehakt.

Oppositionsführer Tony Leon spricht den meisten Südafrikanern aus der Seele, wenn er, wie am vergangenen Mittwoch, die Regierung bezichtigt, das Thema zu bagatellisieren. „Die Kriminalität in Südafrika ist ausser Kontrolle geraten. Ohne jeden Zweifel ist es das alles entscheidende Problem, mit dem unsere 12 Jahre alte Demokratie konfrontiert wird. Jeder weiss das, nur offenbar die Regierung nicht.“

"Was ist mit uns geschehen?"

Die Presse trommelt täglich, und so manche Ikone aus dem Apartheidkampf mahnt verzweifelt zur Besinnung. „Was ist mit uns geschehen?“, fragte auch Altbischof und Nobelpreisträger Desmond Tutu kürzlich. „Es scheint, als hätten wir unsere schwer erkämpften Freiheitsrechte pervertiert. Wir haben unsere tiefe, afrikanische Ehrfurcht vor menschlichem Leben verloren.“

„Was sind wir geworden?,? wetterte die "Sunday Times", die größte Zeitung des Landes, als die 15 Monate alte Khensani Mitte Oktober auf dem Rücken seiner Mutter mittags bei einer Schiesserei in Johannesburg tödlich am Kopf getroffen wurde. „Unsere Straßen ähneln dem Wilden Westen, fast täglich kommt es zu Schusswechseln. Unsere Gesetzeshüter sind hilflos und hoffnungslos. Aber Minister Nqakula beteuert ständig, alles sei unter Kontrolle.“

Wer es sich leisten kann, verschanzt sich

Niemand ist mehr sicher, ob arm oder reich, Urgroßmutter oder Säugling. Wer genug Geld hat, verschanzt sich hinter Mauern, Stacheldraht und Elektrozaun, besitzt scharfe Hunde und eine Waffenlizenz; in ärmeren Gegenden macht sich die Lynchjustiz breit. Man hat alles erlebt, in den Abendnachrichten gesehen und in der Zeitungen gelesen; man hat sich an alles gewöhnt.

Nur geradezu unbegreifliche Bluttaten lösen kurzzeitig Wut und Empörung aus. Etwa, wenn die fünfjährige Ahifah in Kapstadt erwürgt wird und ihr Mörder an der Wand hinterlässt, es habe „Spaß gemacht, den kleinen Engel zu töten“; die vierjährige Makgabo, Tochter eines Amtsrichters, Enkelin des Gerichtspräsidenten, in ihrem Kinderzimmer erwürgt wird, während die Mörder nebenan noch die Nanny vergewaltigen; dass die 14jährige Bianca in Khayelitsha von vier Teenagern vergewaltigt und dann mit Ziegelsteinen bis zur Unkenntlichkeit zermalmt wird, zwischen ihren Beinen steckt eine zerbrochene Flasche; der Diplomat Kingsley Sithole auf Heimaturlaub vor seinem Haus erschossen wird; die Ärztin Sabera Bhamjee in ihrer Praxis an 60 Messerstichen stirbt (ihr Mann ist Regierungsabgeordneter); der Schauspieler Brett Goldin und der Designer Richard Bloom in Kapstadt per Genickschuss getötet werden; der Milchbauer Flip Heynecke erst brutal geschlagen und dann mit einem Stromkabel aufgehängt wird.

Rudolph Giulianis Warnung

Fälle wie diese, in den vergangenen neun Monaten, haben Südafrika schon lange den Ruf eingebracht, eine Hochburg der Gewalt zu sein. Der damalige CDU-Senator Hattig aus Bremen meinte bei einem Besuch vor fünf Jahren: "Südafrika hat ein Imageproblem. Man wird, wenn man hierher reist, mehr vor Kriminalität gewarnt, als über die Möglichkeiten informiert." Der frühere Bürgermeister von New York, Giuliani, warnte im Juni: „Zu allererst muss die Kriminalität bekämpft werden. Die Menschen müssen sich sicher fühlen, sonst ziehen sie weg. Ich weiß, wovon ich rede – New York war früher so.“ Unter Giulianis Regie wurde ab 1993 das „Null-Toleranz“-System eingeführt: jedes Delikt wurde bestraft, und schien es noch so geringfügig. Binnen weniger Jahre konnte die Verbrechensrate in New York halbiert werden.

Ein derart radikaler Einschnitt wird in Tshwane (früher: Pretoria) abgelehnt, weil es zu sehr an die Apartheidszeiten erinnert. Im übrigen sei alles halb so schlimm. Früher regte sich ja auch kein Weißer, der heute Leserbriefe schreibt und in Talkshows im Radio seine Stimme erhebt, über den Blutzoll innerhalb der schwarzen Bevölkerung auf.

Polizeipräsident Jackie Selebi im August wörtlich gegenüber besorgten Wirtschaftskapitänen: "Schwarze Südafrikaner leben schon lange mit Verbrechen. Wir mussten deshalb Polizeiresourcen aus reichen weißen Vierteln in schwarze Townships verlegen. Und jetzt wollen uns die Weißen diskreditieren – obwohl sie genug Geld für private Sicherheitsfirmen haben.? Sein Minister, Charles Nqakula, hatte kurz zuvor im Parlament weißen Abgeordneten Sätze entgegengeschleudert, der ihm noch lange nachhängen werden: “Hören Sie doch auf mit ihrer Jammerei! Sie haben zwei Möglichkeiten: sie können sich solange beschweren, bis sich blau anlaufen, oder sie können das Land verlassen“.

Die Konsequenz? Umverteilung von Kompetenzen

Diese rassisch fundierte Logik versetzte schon vor vier Jahren einen Sicherheitsexperten des deutschen Bundestags in Erstaunen. Nach einem Vortrag des damaligen Polizeiministers Steve Tshwete im südafrikanischen Parlament bemerkte der Deutsche, selbst 31 Jahre lang Kriminalbeamter: "Man gewinnt den Eindruck, es ginge ihm nicht darum, die hohen Verbrechensraten besser zu bekämpfen, sondern erst mal besser zu verteilen."

Umverteilt wurden erst einmal die Kompetenzen. Polizei, Gefängnisse und Justiz: es kracht überall im System, nachdem erfahrene Kriminalbeamte, Staatsanwälte und Richter vorzeitig in die Rente geschickt wurden, weil sie eine weiße Hautfarbe hatten.

Derzeit sind tausende wichtige Posten unbesetzt, weil man nicht schnell genug schwarze Kandidaten finden kann, die kompetent sind. Der oben erwähnte Polizeikommissar in Kapstadt hat ein einfaches Rezept, wie man Schwerverbrecher fangen und verurteilen könnte: „Erstens: alle erfahrenen Kripo-Leute, die entlassen wurden oder weggingen, sofort zurückholen, befördern und besser bezahlen, gleichgültig ob sie weiß, schwarz oder grün sind. Zweitens: dasselbe im Justizsystem. Drittens: mehr moderne Gefängnisse bauen, damit wir endlich von der hohen Rückfallrate wegkommen. Unsere Gefängnisse sind wie Waschmaschinen – 97 Prozent aller Entlassenen kommen wieder.“

Ein Tag in Camps Bay
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Autor: Weltreisender
erstellt: 15.12.2006
gelesen: 11026 mal
Stichworte: Südafrika, Kapstadt, Camps Bay, Strand
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