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Bericht aus Kenya über die Arbeit eines Arztes in den Slums von Nairobi. Wir erleben die Ohnmacht der Ärzte, die ihren AIDS-kranken Patienten nicht wirklich helfen können. Dennoch entwickeln sie ein Hilfsprogramm, das Mut macht und beispielhaft ist. , Reiseberichte, Fotos, Bilder, Reiseinformation, Reisetipps weltweit. Schreiben Sie Ihren Reisebericht. Zeigen Sie Fotos und Bilder online. Reiseerfahrung mit anderen teilen!
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AIDS in AFRIKA - Tod im Mathara-Slum von Nairobi

Bericht aus Kenya über die Arbeit eines Arztes in den Slums von Nairobi. Wir erleben die Ohnmacht der Ärzte, die ihren AIDS-kranken Patienten nicht wirklich helfen können. Dennoch entwickeln sie ein Hilfsprogramm, das Mut macht und beispielhaft ist.

Elend, Armut, Krankheit und Tod im Mathara-Slum

Slumrundgang

Immer am Mittwoch gehen wir mit unserer Mitarbeiterin Rose durch den Slum in die Hütten zu denen, die zu schwach sind, in die Ambulanz zu kommen.

Ich packe einige wenige Medikamente, mein Stethoskop und die Taschenlampe ein. Mit Rose, die hier jeder kennt, bin ich sicher. Allein sollte sich ein Weißer nicht in diese Gegend trostlosester Armut wagen.

Bei den Patienten in den Hütten (ohne Licht und Fenster, ohne Strom und Wasser, ohne Toiletten und irgendwelche Möbel) machen wir Verbände oder ich untersuche die sehr schwachen alten Menschen und gebe ihnen Medikamente. Und dann werden wir immer wieder zu sterbenden AIDS-Kranken geführt.

Die Clinic Baraka

Die Ambulanz mit dem Namen »Baraka« ('Segen') liegt am Rande des Mathare-Slum. Das flache Haus ist längst viel zu klein und eng geworden, so daß im Laufe der letzten Jahre drei große Container hinzugekommen sind.

Unter einem Vordach, das jetzt gegen die pralle Sonne und in einigen Monaten gegen die tropischen Regengüsse schützen soll, sitzen schon seit einiger Zeit vielleicht 150 Patienten. Einige Kinder kommen fröhlich auf uns zu, rufen das so typische, singend vorgebrachte „howareyou“ und wollen per Handschlag begrüßt sein.

Rasch füllt sich das Zimmer, immer wieder bringen uns die Mütter völlig abgemagerte, unterernährte Kinder, geplagt von Würmern, Durchfall, Malaria und – besonders schrecklich – AIDS.


AIDS: die Pest der Gegenwart

...bei der Untersuchung finde ich immer wieder das Gleiche: viele derbe Lymphknoten überall, ein rauhes Geräusch über der Lunge, eingefallene Bauchdecken, eine große Milz, schmerzende Gelenke, abgemagerte Arme und Beine, meist einen weißlichen Pilzbelag im Rachenraum, vielleicht Hautveränderungen.

Wir wissen: mehr als 40 Millionen Menschen sind HIV-infiziert, sie werden ausnahmslos alle an AIDS sterben. Eine Heilung gibt es bis heute nicht. Eine medikamentöse Behandlung – die das Leben erträglich macht, es verlängert – ist erst in Ansätzen in Afrika möglich. Wir bemühen uns, zu helfen. Mit intensiver persönlicher Aufklärung, medikamentösen Programmen, Hilfe bei mangelhafter Ernährung und bei der Versorgung der AIDS-Waisen.


Nicht mehr schlucken...

Jetzt packt sie mich wieder, die Welt des Elends. In Gestalt der etwa 25-jährigen Frau, mit dem bunten Tuch über ihrer viel zu weiten, grünen, zerschlissenen Jacke. Sie sinkt auf dem Patientenstuhl zwischen meiner Übersetzerin Sheila und mir nieder und sagt, daß sie immer wieder erbrechen müsse und daß sie seit Donnerstag „nicht mehr schlucken“ kann.

Bei der Untersuchung bin ich erschrocken. Ich finde eine völlig, „bis zum Skelett“, wie man so sagt, abgemagerte Frau. Überall taste ich Lymphknotenpakete. Sie hat einen trockenen Husten, Bauch- und Gelenkschmerzen. Ich habe keinen Zweifel an der Diagnose. Es ist wieder und schon zum zehnten Mal heute das so typische Krankheitsbild von AIDS.

Aber eine Ursache für das „nicht schlucken können“ kann ich nicht finden, ich frage wieder nach dem Schlucken und dem Donnerstag. Sheila übersetzt meine Fragen: warum seit Donnerstag? Was war an dem Donnerstag?

Dann endlich sagt sie flüsternd zu Sheila, daß am Donnerstag ihr zweijähriges Kind gestorben sei. An einer „Infektionskrankheit“. Viel Phantasie gehört nicht dazu, auch dieser „Infektionskrankheit“ ihren richtigen Namen zu geben: AIDS. Es scheint so, als könne diese schwerkranke Frau nicht mehr weinen. Sie dreht sich zur Wand. Dann fällt mir ein, daß ich Zeit gewinne, wenn ich dieser elendiglichen, tief traurigen und sehr kranken aber noch so jungen Frau eine Infusion anhänge mit einem Medikament gegen das Erbrechen.

Ich bleibe noch ein wenig auf der Liege neben ihr sitzen, berühre ihren Arm und hoffe, daß sie dann doch wieder wird schlucken können. All das schlucken, was deutlich absehbar noch auf sie zukommt und darauf wartet, von ihr akzeptiert oder, wenn man will: „geschluckt“ zu werden.

Am Ende der Infusion schaut sie mich an. Ich kann ihre Augen nicht genau erkennen, denn es ist dunkel in der Ecke und der Strom ist schon den ganzen Tag abgeschaltet.

Sie fühle sich nun besser, sagt sie schließlich. Aber ich weiß nicht genau, ob sie mir mit dieser Bemerkung nur einen Gefallen tun will oder ob wir ihr wirklich ein ganz klein wenig helfen konnten.

Wieder einer von jenen Tagen, die ich nicht vergessen werde und die ich auch nicht vergessen will. Über die ich berichten muß. Wenn das alles, was wir hier erleben, einen Sinn haben soll, dann den, nicht zu vergessen.


Die sterbende Mutter

Wann bin ich am Ende der Skala von nur schwer erträglichen und zutiefst traurigen Schicksalen angelangt? Jetzt bei diesem Rundgang? Am Eingangsloch dieser Wellblechhütte, die wir als nächstes besuchen? Ein 12-jähriges Mädchen hockt davor, die älteste Tochter der Patientin. Mir fallen besonders die dreckverkrusteten, filzigen Haare auf und das zerfetzte Kleidchen, dessen ursprüngliche Farbe nicht mehr erkennbar ist und das den abgemagerten Leib kaum mehr verhüllt.

Rose spricht ein paar Worte mit dem Kind, damit wir, tief gebückt, durch die niedrige Tür herein kommen können.

Im Inneren ist es dunkel, es herrscht eine dumpfe Hitze und ist qualvoll eng, überall Fliegenschwärme und ein widerlicher Gestank nach Erbrochenem und anderen Körperausscheidungen. Wir erkennen im Hintergrund eine bis zum Skelett abgemagerte Gestalt. Sie hat nur eine Decke um die Hüften gewickelt und starrt uns mit wirren Blicken an.

Als sie Rose erkennt, sinkt sie mit leisem Stöhnen auf ihre hölzerne Liege zurück.

Erst später bemerke ich, daß sich da unter den schmutzigen Tüchern am Kopfende der Schwerkranken etwas bewegt. Es ist das etwa sechs Wochen alte Kind dieser Frau. Es wiegt wohl kaum mehr als drei oder vier Pfund, ist also völlig ausgezehrt, faltig und sicher durstig. Es wimmert kaum hörbar vor sich hin.
Im Moment hat Rose keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Sie bringt dieses Bündel später in die Ambulanz, wo es untersucht, behandelt und mit Milch versorgt wird.
Die Mutter bekommt noch etwas Flüssigkeit über eine Infusion. Sie ist kaum mehr ansprechbar, reagiert nicht mehr auf unsere Fragen und versinkt in einen gnädigen Dämmerzustand.

Meine Gedanken irren für einen Augenblick zurück nach Deutschland, wo ein Notarzt diese Patientin mit Blaulicht auf die nächste Intensivstation begleiten und einweisen würde. Rasch verdränge ich diese Vorstellung wieder. Niemand hier könnte das bezahlen. Und wenn sie dort stirbt, würde man ihre Leiche erst herausgeben, wenn bezahlt wird. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, was geschieht, wenn niemand das Geld aufbringen kann.





Prof. Eike Uhlich hat verschiede Bücher zum Thema verfasst. Mehr dazu hier:
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Die sterbende Mutter
Fast ermordet
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Autor: Eicke Uhlich
erstellt: 10.03.2007
gelesen: 4115 mal
Stichworte: Kenya, Aids,
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