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Eine Reise mit dem Esel durch die Cevennen

Land der Rebellen / Grüße von Obelix

Start und Ende eines Tages sind sogenannte gîtes, Herbergen. Meist sind es ehemalige, malerische Bauernhöfe, tief in den Bergen versteckt und im Winter unbewohnt. Dort wo auch Stevenson sein gestresstes Haupt bettete, müde vom Kampf mit seiner störrischen Modestine: Wir hatten allerhand Ungemach geteilt, und mein Herz war meinem Lasttier gegenüber noch so kalt wie eine Kartoffel. Wir haben es besser, unsere Tiere tragen auch den Spitznamen genti ânes, freundliche Esel. Sie sind auch gut geschult, willig und leistungsfähig. Sie hören auf ihre Namen, sind gesellige Zeitgenossen und spielen ihre „tragende Rolle“ - 40 Kilo Gepäck - ohne Murren. Mit unserer ordentlichen Sattelorganisation, deren Tücken den unerfahrenen R.S.L. zum Verzweifeln brachte. Ich hatte eine verteufelte Mühe, das schaukelnde Gepäck immer wieder ins Lot zu bringen. Ich war nahe am Weinen… Dann tat ich etwas Sinnvolleres und hockte mich an den Straßenrand, um meine Lage unter dem belebenden Einfluss von Tabak und einem Schluck Brandy zu überdenken.

Wir durchstreifen Lozère, das dünnbesiedelste Département Frankreichs, eine der unbewohntesten Landschaften Europas. Seit dem Buch von Stevenson sind die Cevennen bekannter, heute auch als eines der Naturreservate Europas. Tagelang treffen wir auf der Tour keinen Menschen. Die Landschaft erinnert manchmal an Schottland, die allerseits widerhallte vom Klang der Glocken der Schaf- und Rinderherden. Die reiche Flora entzückt nicht nur die Esel, fast alle medizinisch genutzten Pflanzen pflückt man hier.

In Les Alpiers schimmern Häuserdächer aus Schiefer am frühen Abend. Die straffe Nackenmähne unserer grauen Freunde steilt sich vor Freude auf, der lange Schwanz mit der fülligen Quaste kreist vor Freude. Wir binden unsere Esel vor der heimeligen Herberge in Le Bleymard an und genießen die leckere lokale Küche. Stevenson berichtet von den Herberge kritisch: Der Wein ist mäßig und der Brandy abscheulich. Der Besuch einer fetten Sau bei der Mahlzeit, die unter dem Tisch grunzt und sich an den Beinen reibt, war ein nicht auszuschließender Begleitumstand. Auf diesen historischen Spuren durchstreifen wir ein Gebirge mit einsamen Weilern und malerischen Dörfern. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. …im wilden Gévaudan, bergig, unkultiviert und erst neuerdings aus Angst vor Wölfen entforstet. Denn dies war das Land der Bestie, des Napoleon Bonaparte der Wölfe. Vogelfrei trieb er sich zehn Monate lang herum, riss Frauen und Kinder und Schäferinnen „von Liebreiz weit gerühmt. Er verfolgte bewaffnete Reiter. Und wurde schließlich erlegt, für 10.000 Franc Kopfgeld. Für einen normaler Wolf ein sensationelles Preisgeld.

Land der Rebellen

Die Grautiere bestimmen das Tempo, es liegt bei einer Eselstärke und dabei bei drei bis vier Stundenkilometern. Der höchste Berg der Cevennen, der 1699 Meter hohe Mont Lozère, ist eine Herausforderung inmitten einer großartigen Landschaft. Hinkelsteine markieren den Weg, der bei Nebel und schlechtem Wetter schwer zu finden ist. Das Hochplateau erinnert an Schottland, ist ein Zentrum der Schafzucht Frankreichs …und gestattet bei klarem Wetter die Sicht über die Niederungen des Languedoc bis zum Mittelmeer. Wir binden unsere Tragtiere an eisernen Ringen in Natursteinmauern an und beugen uns eifrig über die Zeichnung mit dem Titel Noeud d’attaché longue.

Hinter grauen Mauern besuchen wir das liebevolle Museum im geschichtsträchtigen Le Pont-de-Montvert am Rande des Nationalparks mit seinen Häusern aus Schiefer. Oben Weideflächen, Heide, Buchen-, Birken- und Kastanienwälder. Ein paar Einwohner, Esel, Pferde, Ziegen und Schafe. Es sind die Cevennen der Cevennen. Hier, im Land der Camisarden, fürchtete sich Stevenson vor dem religiösen Fanatismus. In diesem unergründlichen Hügellabyrinth tobte zwei Jahre lang ein Krieg von Banditen, ein Krieg wilder Tiere zwischen dem Sonnenkönig mit allen seinen Truppen und Marschällen auf der einen Seite und ein paar Tausend protestantischer Bergbauern auf der anderen. Eine spannende Fußnote der Weltgeschichte. Ludwig XIV. hatte die Kleriker wegen ihres Glaubens verfolgen und ermorden lassen. Sie rächten sich mit einer heißen Schlacht im Ort.

Die Cevennen sind unvergleichlich, keine andere europäische Region bietet auf so kleinem Raum so unterschiedliche Landschaftsbilder , schwärmt ein deutscher Reiseführer über die Gebirgslandschaft zwischen Mittelmeer und Zentralmassiv. Sie ist eine der urwüchsigsten, aber auch ärmsten und am wenigsten bevölkerten Regionen Frankreichs. Waldreiche Flusstäler, schroffe, zerklüftete Bergrücken, endlos weite, menschenleere Hochplateaus und tiefe, wasserreiche Schluchten bieten dem tüchtigen Naturliebhaber eine Fülle atemberaubender Schönheiten, wie man sie in dieser Intensität wohl nur in den Cevennen erleben kann. Trekker und Esel nutzen die Gelegenheit, die Füße in den klaren Flüssen zu kühlen.

Savoir vivre

Von den grauen Häusern mit eindrucksvoller südlicher Note bis Cocurès durchqueren wir den waldigen Bougès-Gebirgszug. Ein kleiner Teich vibriert vom Froschgesang, ähnlich dem tremolierenden Ton einer Trillerpfeife mit einer Erbse darin. Von einem Kamm bietet sich ein herausragender Weitblick über schier endlose Gebirgsketten. Wir steigen tief hinunter, durch violett betupfte Heidekrautwildnis in wilde Schluchten und über Terrassen, die in Jahrhunderten mühsam der wilden Landschaft abgerungen wurden. Ein frisches Bad im Naturwunder der Gorges, im glasklaren kühlen Tarn, weckt die Sinne. Die schroffe Schlucht ist eine der Naturattraktionen Frankreichs, ein Naturmonument zwischen Wasser und Felsen. Mit einer seltenen Fauna und Flora, die sich in den grandiosen Felsklippen und bei den tosenden Wasserfällen entwickelt hat.

Die Esel warten wie bei R.L.S. …festgemacht an einer Buche mit einer Haltung unnachahmlicher Geduld. Nachmittags klappern Hufe über die Granitsteine eines gîte d‘etape in den Bergen. Jeden Abend ist es ähnlich. Feucht-fröhlich feiern wir die Rückkehr aus der Weltenferne. Und genießen nach anstrengenden Wanderstunden das sprichwörtliche savoir vivre - dunkelroten, samtigen Wein aus dem Languedoc und heimische Spezialitäten. Das Lozère ist bekannt für seine deftigen Köstlichkeiten wie Pasteten, Würste und selbstgebackenes Brot. Dazu der Roquefort-Käse aus der Gegend, der seine Köstlichkeit einer

netten Geschichte verdankt. Ein Liebespaar hatte bei einem sprichwörtlichen Schäferstündchen in einer der zahlreichen Höhlen ihre Brotzeit vergessen – eben frischen Schafskäse. Der reifte in der speziellen Luft der Grotte. Bis das Pärchen wieder einmal Lust hatte. Und nach Wochen den inzwischen perfekten Käse fand, herangereift zur weltbekannten Köstlichkeit. Der Käse gehört zum Genuss wie das unbeschwerte Wandern mit den geduldigen Tragtieren.

Wieder das Stakkato der Hufe, diesmal auf dem Stadtpflaster von Florac. Wir führen die Esel unter Platanen durch die quirlige Kleinstadt mit südlichem Flair. Über kühne Brücken und durch Tunnel erreicht die Truppe Cassagnas und schüttelt die Federbetten in einer netten Pension im alten Bahnhof auf.

Grüße von Obelix

Geweckt werden wir durch schmetternden Hahnenschrei und das Gackern zufriedener Hennen. Man erlebt den Tag in einer großartigen Natur mit allen Sinnen: tief einatmen, beobachten, horchen, spähen. Am hellblauen Himmel kreist ein Gänsegeier. Über Terrassen und durch tiefe Täler wandern wir unter der wärmenden Sonne des Midi bis zur Herberge in St.-Germain-de-Calberte. Die südlichen Cevennen sind besonders farbenprächtig. Prähistorische Dolmen und Hinkelsteine stehen am Weg – wie vom Comic-Helden Obelix lässig hingeworfen. Wir besichtigen Reste einer römischen Villa. Der Col de Saint-Pierre ist eine Aussichtsplattform mit großartigem Weitblick im Herzen einer lebendigen Gegend.

Am Ende der Berge verläuft die Wanderung nach etwa 240 Kilometern und zwölf Tagen in der Weite des Midi. Wie bei Stevenson. Als Herr und Eselin am 4. Oktober 1878 endlich die kleine Stadt St.-Jean-du-Gard erreichten waren beide am Rande der Erschöpfung. Obwohl spät im Jahr fasste der Autor die mediterrane Atmosphäre treffend zusammen: Und dennoch war in dieser Oktobernacht die Luft so lau wie im Mai.

Stevenson verkaufte seine Modestine – und war wieder frei. Wir sind es am Ziel der Reise auch. Oder doch nicht? Hatte doch Stevenson unser aller Leidenschaft treffend beschrieben: Ich reise wegen des Reisens wegen. Worauf es ankommt, ist in Bewegung zu sein… aus dem Pfuhl der Zivilisation auszusteigen und zu finden, dass der Boden unter den Füßen aus Granit besteht und mit schneidenden Kieseln bestreut ist. Wenn man in der Gegenwart so stark gefordert ist, wie kann man sich da über die Zukunft Sorgen machen? Sind diese Worte, vor erstaunlichen fast eineinhalb Jahrhunderten geschrieben, heute nicht noch wahrer?.

Die Sonne legt einen goldenen Dunstschleier über die Hügelkuppen, die Täler sind schon in tiefe Schatten getaucht. Im Hotel feiern wir feuchtfröhlich Abschied von Natur, Kultur und mediterranem Fotolicht.

Stevenson überfiel nach seiner Tour eine wehmütige Stimmung. Zwei Wochen gemeinsam überstandener Strapazen verbinden. Wir bringen einen Toast auf den Briten aus. Auf einen Aussteiger, würde man heute sagen. Seine Abende verbrachte er in Spelunken und Bordellen, in Gesellschaft von Seeleuten und Gaunern, bei Haschisch und billigem Fusel. In Schottland ist der Himmel trist, im Languedoc ist er heiter. Und noch einen Trinkspruch auf die Cevennen. Und einen besonderen auf die Esel. Und auf... Man findet in Hochstimmung sehr wichtige Gründe, das Glas zu heben.

Wir sind nach unserer „Eselei“ dem Schriftsteller sehr nahe.
Mit dem Esel durch Südfrankreich
Informationen Südfrankreich, GR70, Trekkingtipps
Bücher von Michael Vogeley
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Autor: Michael Vogeley
erstellt: 05.10.2004
gelesen: 16458 mal
Stichworte: Frankreich, Cevennen
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