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Vergesssen Sie „Fear Factor“. Der wahre Ekeltest für harte Männer findet alljährlich beim ‚Wildfoods Festival’ in Neuseeland statt. Da gibt’s Maden und Bullensperma satt, Reiseberichte, Fotos, Bilder, Reiseinformation, Reisetipps weltweit. Schreiben Sie Ihren Reisebericht. Zeigen Sie Fotos und Bilder online. Reiseerfahrung mit anderen teilen!
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WO DIE WILDEN KERLE ESSEN

Wurm - Sushi und Bullensperma

Moderator Ricky dreht die Anlage auf, aus den Lautsprechern dröhnt „Honey, Honey, Sugar, Sugar,“ und schon beginnt die nächste Runde: Aus halbmeterlangen Inseminationsspritzen wird den zwei Frauen und vier Männern Bullensperma einverleibt. „Schmeckt wie Eiscreme ohne Geschmack!“, frohlockt DJ Ricky. Samanthas Konkurrentin Vanessa Roberts, 22, hält sich die Nase zu und schüttelt sich. „Vanessa hat Angst, sie könnte davon schwanger werden!“, ruft Ricky ins Publikum. Das johlt, klatscht, lacht. Ein junges Touristenpärchen aus Israel guckt etwas verstört. „Das haben wir bisher nur im Fernsehen gesehen,“ geben sie zu.

Die Kandidaten quälen sich kauend durch die nächsten Widerlichkeiten: Ein langer rosa Streifen Ochsenzunge, eine Hand voll zäher Karnickelhoden und ein Schälchen Curry-Soße, deren Hauptbestandteil rohes Chili ist. Allen tränen die Augen. „In ein paar Stunden merkt ihr erst, wie scharf das wirklich war!“, freut sich Ricky boshaft.

Besonders abstoßend: Die weißen, schlabberigen Lappen der rohen Schafsmägen. „I just can’t get enough“, dröhnt es aus den Musik-Boxen, als die Schraubgläser voller Kutteln serviert werden. Ricky feuert seine Truppe an: „Tausend Dollar in bar! Los, Jungs!“ Gareth hat keinen Sinn mehr für Zahnbürstenspäße. Einen halben Kuttellappen würgt er herunter, zuckt, schluckt, grinst entschuldigend und greift dann reflexhaft zum gelben Plastikeimer unter sich. Endlich kommt alles wieder hoch. So ruhmreich es auch sein mag, fürs Vaterland zu reihern – damit ist Gareth aus dem Rennen. „Wisst ihr, was schlimmer ist, als das schärfste Chili der Welt zu essen?“, fragt er, als er unten vor der Bühne steht und sich Schweiß, Curryspritzer und Mageninhalt vom Gesicht wischt. „Wenn es einem danach wieder durch die Nase hoch kommt.“

Die letzten Verbliebenen sind ein kleiner, drahtiger Engländer namens Martin Sherrat und der Neuseeländer Steve Lee. Der ist– das muss man sich bei der Gelegenheit auf der Zunge zergehen lassen – von Beruf Koch. Martin zerbeißt den lebenden Grashüpfer am schnellsten, hat gewonnen und klettert mit einem 1.000-Dollar-Scheck wieder von der Bühne. Sein Training für diesen Sieg? „Nichts – außer dem Essen meiner Frau.“ Er zieht in Richtung Pub davon, über dem ein riesengroßes aufblasbares Wildschwein in lila schwebt – das Wahrzeichen des morgigen Spektakels.
Die Straßen füllen sich mit immer mehr und immer jüngeren Leuten. Party-Time. Wer genug Eintritt aufbringen kann, hört sich eine der beliebtesten Bands des Landes an. Der Name der Gruppe könnte für diesen Abend nicht besser gewählt sein: Salmonella Dub. Der Rest drängelt sich in die Kneipen und in die Bar des „Club Hotels“. Am Aufgang zwischen Toilette und Tresen liegen zwei herrenlose Herrenschuhe auf der Treppe hoch zu den Zimmern. Jemand muss wahrhaftig aus den Latschen gekippt sein.

In den frühen Morgenstunden, als auf dem Festival-Terrain bereits die ersten Essenstände mit eingemachtem Farnstrunk, Algenmarmelade, Schafshoden und anderen Leckereien für den großen Besucheransturm bestückt werden, kommt das Städtchen kurz zur Ruhe. Nachdem in den letzten Jahren der Strand von Flaschen übersät und fast jeder Hauseingang zum Urinieren missbraucht wurde, haben Festkomitee und Stadtverwaltung die schlimmsten Auswüchse des Party-Treibens eingedämmt: Kein Glas, kein freies Zelten mehr, kein Last-Minute-Verkauf von Eintrittskarten. „SOLD OUT“, ausverkauft, prangt auf großen Schildern am Eingang, als sich um elf Uhr das Tor zu dem Zelt-Parcours auf der Gemeindewiese Hokitikas öffnet. Eine Lawine erlebnishungriger, gutgelaunter Besucher rollt herein.

Die meisten strömen sofort zu der kulinarischen Verirrung, die dem Festival seinen legendären Ruf eingebracht hat: Maden – dick, weiß und roh. Zuerst sieht man nur einen großen Haufen morscher Holzstämme. Ein Holzfäller schlägt Baumteile entzwei, greift in die Späne, hält einen zappeligen Wurm hoch und ruft: „Wieviel?“ „Zwei Dollar!“ brüllt jemand und wedelt mit einer Münze. Im Minuten-Takt werden die Tiere versteigert und auf der Stelle gegessen. Wer es lieber mit weniger Live-Gefühl mag, kriegt seine Made nebenan auch in Butter gebraten. „Eigentlich schmecken die nach nichts,“ gibt Brent Foster zu, während er mit dem Bratenwender hantiert und einen Zahnstocher in eine warme Grillmade bohrt. Er reicht den Knusperhappen an. „Schokoladensauce dazu?“

Entwaffnend ehrlich ist auch der Mann hinterm Würmer-Verkaufstand, der mit Wurm-Latte (getrocknete Wurmkrümel statt Kakaopulver auf Milchkaffee-Schaum), Wurm-Trüffel und Wurm-Sushi an diesem Vormittag einen umwerfenden Umsatz macht. „Lebendig schmecken die ganz furchtbar,“ sagt Don Neale, der normalerweise für die Landschaftsschutzbehörde DOC arbeitet. „Wir kochen sie eine halbe Stunde lang oder kippen Wodka drüber, bis der Geschmack verschwunden ist.“ Im letzten Jahr konnte er nicht genug Würmer aus seinem Komposthaufen rekrutieren, weil es so trocken gewesen war. Als das Festival näherrückte, gab er schließlich eine Such-Anzeige auf. Es meldete sich ein Friedhofsgärtner, der Würmer in Mengen anzubieten hatte. Ob die ins Sushi oder in die Trüffel geraten sind, weiß Neale nicht mehr so recht zu orten. Vorsichtshalber bietet er daher auch „Würmer für Feiglinge“ an: Bunte Weingummi-Schlangen aus der Tüte.

Die Mittagssonne knallt auf den Festivalplatz. Jeder Zentimeter Gras ist mittlerweile von Körpern bedeckt: Man liegt auf Decken, schlürft an seiner Sangria, knabbert an einem knorpeligen Hühnerfuß oder tanzt zu einer der vielen Latin-, Jazz-, Marimba- und Sixties-Bands, die den Geräuschpegel der Masse noch mehr nach oben treiben. Eine kleine Truppe tapferer Küchenchefs kocht in Zelt 37 um die Wette – eine einsame Oase feiner Gourmet-Kunst inmitten der kulinarischen Geröllwüste aus gebratenen Schafshoden und rohen Fischaugen in Wackelpudding.

Mitten im feuchtfröhlichen Treiben stehen 25 gleich gekleidete Männer eng und leicht schwankend zusammen. „Bush Pigs“ steht auf ihren rot-weißen T-Shirts. Die selbsternannten Wildsäue sind ein „drinking club“ aus Christchurch – die neuseeländische Antwort auf den deutschen Stammtisch. Rob Patterson, der sonst im Baumarkt Farben anrührt, wird heute als neues Mitglied initiiert. Seine Kumpel haben ihm von einem der Stände etwas geholt, das wie eine außerirdische Organspende aussieht. „Abalone-Titten“ heißen die wabbeligen, handtellergroßen gelblichen Abschnitte der ansonsten recht schmackhaften Riesenmuschel. Rob muss das Meeresbrüstchen roh herunterschlucken. Seine Club-Brüder johlen, klatschen, feuern ihn an: „Du schaffst es, du kannst das!“ Er kann’s, aber er übergibt sich trotzdem mit sattem Schwall in einen Mülleimer. Willkommen im Club – beim nächsten Festival ist ein neues „Bush Pig“ dran.

Vor Stand Nr. 70, den Digitalfotos von kopulierenden Kühen und ein eigenartiger, säuerlicher Geruch zieren, ist kein Durchkommen mehr. Drängelnde Jugendliche, gestylte Ladies im besten Alter und erstaunlich viele Männer belagern die drei stämmigen Frauen von „Coast Cock-Tail“ (‚cock’ = engl. Penis), die mit furchteinflößend aussehenden langen Pipetten hantieren. Brigitte, Wendy und Jody haben 1.300 Portionen reinsten Bullenejakulats anzubieten – einmal und nie wieder, denn die Agrar- und Gesundheitsbehörde hat lediglich für das diesjährige Festival grünes Licht für die artfremde Verwendung des Fortpflanzungsmittels gegeben. „Eine Woche lang haben wir gebraucht, bis wir das zusammen hatten,“ sagt die Bäuerin Jody stolz. Sie stammt aus der Zuchtbranche. Drei verschiedene Geschmacksrichtungen haben die Damen im Sortiment: Als 3-Milliliter-Schuß per Pipette direkt in den Mund; auf Eis mit Wodka oder Bailey’s; oder alkoholfrei mit Fruchtsaft. Das Gerücht, der tierische Samen sei ein Potenzmittel, scheint sich auf dem Festival schneller zu verbreiten als die Rauchschwaden der vielen Grills: Die Fünf-Dollar-Gedecke gehen weg wie warme Semmeln. „Eigentlich schmeckt man nur den Bailey“, kichert eine junge Frau, die sich gerade einen Schluck gegönnt hat. Um sie herum wird es plötzlich noch unruhiger als bisher. Fernsehkameras tauchen auf. Ein bekanntes Gesicht schiebt sich durch die Menge: Mark Hewlett (29) – blondes Model, Fernsehstar und Gewinner der amerikanischen Angst- und Ekel-Show „Fear Factor“. In der TV-Sendung verschlang er lebenden Kakerlaken, in seiner Heimat Südafrika hat er bereits Löwenfleisch und Buschwürmer gekostet, und gerade hat ihn das Fernsehteam dabei gefilmt, wie er sich einen getrockneten Skorpion genehmigte. Was mundet danach besser als ein Schluck gut gekühltes Sperma vom Stier? Mark Hewlett zögert keine Sekunde. Er lässt sich gleich zwei Inseminationsspritzen in den Mund schieben. „Köstlich!“, sagt er, lacht für die Kamera und leckt sich die Lippen. „Was gibt es als nächstes?“

Die letzten Kräcker mit Mövenpastete, Straußenküchlein und Rinderpeniswürstchen wandern in die mit „Moonshine“-Likör geschmierten Mägen. Am Grashüpfer-Stand wird bereits das Terrarium eingepackt: 2.000 Stück sind bis zum späten Nachmittag verkauft worden – die letzten zwei von einer Vegetarierin, die den Tieren das Leben schenken wollte. Irgendwo zwischen den Dixie-Klos werden die beiden Insekten sitzen und sich wundern, warum sie nicht auf einer Scheibe Toast gelandet sind.

Es ist die Ruhe nach dem Sturm, und erst die macht das „Wildfoods Festival“ richtig schön. Während die irische „Black Velvet“-Band die letzte Zugabe gibt und sich die ersten Wohnmobile bereits wieder auf die Passstrasse schieben, geht im tasmanischen Ozean hinter Hokitika die Sonne unter. Die Festival-Besucher sind durch den kleinen Ort Richtung Strand gezogen, sitzen im Sand und verdauen. Dutzende Lagerfeuer aus Treibholz flackern auf und vernebeln sanft das Abendlicht. Hunger hat niemand mehr – bis auf Mark Hewlett. Der „Fear Factor“-Champion hockt mit der Fernsehcrew vor einem Teller Grillhähnchen und verkündet, wo er in Zukunft leben will: In Neuseeland.

Guten Appetit mit Urkost
Informationen, Anreise, Neuseeland
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Autor: Anke Richter
erstellt: 12.10.2004
gelesen: 5643 mal
Stichworte: Neuseelnad, Abenteuer
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