Abenteuer Sushi BarWer als Europäer meint, er könne unbesorgt an einer japanischen Sushi – Runde teilnehmen, der möge bitte erst diesen authentischen Erfahrungsbericht lesen.Sushi? Kenn ich! In jeder größeren Stadt gibt es diese Förderbänder, welche auf kleinen Tellerchen die japanische Nationalspeise durch Raum und Zeit gleiten lassen. Was soll da in Tokio anders sein, als in Berlin?
Einen kleinen signifikanten Unterschied gibt es jedoch in der Heimat des fernöstlichen Esskarussells: Anders als in Berlin, wo die Speise eher gemächlich vor den Augen des Gastes ihre Bahnen zieht, schießen in Tokio die kleinen Tellerchen samt Inhalt mit Mach 3 am Kunden vorbei.
Die Sushibar, das gastronomische Pendant zum Hochgeschwindigkeitszug! Alles muss schnell gehen in Nippon. Der Japaner hat schließlich keine Zeit zu verlieren. Wozu unnötig warten, bis Thun- und Tintenfisch durchs Ziel gehen?
Die Geschwindigkeit liegt knapp unterhalb des Schwellenwertes, an dem die Gesetze der Zentrifugalkraft ihre unheilvolle Wirkung zeigen: Dann würde der Sushi aus der Kurve fliegen. Doch so bleibt alles, fast wie ein Wunder, hübsch aneinander gereiht, auf dem Fließband.
Zögerer und Zauderer haben unter diesen Umständen keine Chance auf den rohen Fisch. Gefragt sind vielmehr Entscheidungsfreude und Reaktionsvermögen. Wer zu lange überlegt, den bestraft das Förderband. Das appetitliche Zielobjekt ist dann schon 10 Meter weiter...
Im Geiste male ich mir schon aus, was passiert, wenn die Hand zu lange auf dem Förderband weilt - gelähmt für eine Schrecksekunde von überraschenden Entscheidungsnöten. Das würde unweigerlich zu einem Sushi - Auffahrunfall mit ungeheurer Kettenreaktion führen. Gott sei Dank bin ich reisehaftpflichtversichert.
Äußerste Konzentration, unabdingbare Voraussetzung für diesen Essvorgang. Wahrscheinlich ist es deshalb auch so ruhig in dem Raum. Anders als in Europa, wo die Nahrungsaufnahme oft Anlass für den Austausch sinnentleerter Belanglosigkeiten ist, herrscht in einer japanischen Sushi – Runde Totenstille. Hastig werden die Tellerchen geleert. So dauert ein Lunch nur 5 Minuten und der Lohnsklave kann sich wieder der Steigerung des Bruttosozialproduktes widmen.
Nachdem ich die Szenerie genau analysiert und mich mit der Transportgeschwindigkeit vertraut gemacht hatte, fühle ich mich nun in der Lage, sozusagen genauso professionell wie meine einheimischen Mitesser an den Start zu gehen.
Umgeben von Sojasauce und Ingwer, gerüstet mit Stäbchen und Serviette bin ich bereit zur Jagd am Esskarussell. Mit der Geschwindigkeit einer Gewehrkugel grapsche ich einen Fischhappen vom Band. Die Aktion war von Erfolg gekrönt. Was nun tun?
Vor mir ragt ein metallener Hahn mit Taste aus der Armatur. Sieht so aus, wie ein Senfspender. Aha! Hier kommt also die Gewürzpaste raus – dachte ich. Also halte ich mein Sushi - Portiönchen darunter und betätige die Taste.
Zu meinem allergrößten Entsetzen schießt aber aus dem metallenen Hahn nicht Soja oder Senf, sondern siedend heißes Wasser. Total erschrocken und leicht verbrannt schleudere ich unwillkürlich mein Sushi-Schälchen samt Inhalt durch die Gegend, was einen mittleren Auffahrunfall auf dem Häppchen-Highway verursacht.
Während meine Nachbarn und meine Kamera mit heißen Wasser besudelt werden, scheppern fünf Meter weiter die Tellerchen, türmen sich Reisbällchen, vereinigen sich Garnelen und Grünzeug zu einem salatartigen Gemisch, das mit Hilfe des Laufbandes mit immer neuen Zutaten gefüttert wird. Während ich noch überlege, wie man dieser Situation wohl am besten Herr werden könne, passiert etwas, womit ich überhaupt nicht gerechnet hatte: Die Sushi Runde bricht in schallendes Gelächter aus. Wirklich selten, Japaner lachen zu sehen. Ist mir hier das erste mal aufgefallen.
Anschließend wurde ich mit guten Ratschlägen überhäuft, die aber alle nicht fruchteten, weil ich nun mal kein japanisch spreche. Aber dass aus diesem Hähnchen heißes Wasser und nicht Soja kommt, hatte ich nun begriffen.
Heißes Wasser – klar für den grünen Tee! Da ich offenbar in einer modernen Sushibar gelandet bin, wird der Tee allerdings nicht im Beutel, sondern als Instantpulver kredenzt. Kleine Krüge mit grünem Teepulver, daneben ein winziges Löffelchen. Selbstbedienung.
Ich nehme mir eine Tasse, und gebe einige kleine Löffelchen hinein, bis ich das Gefühl habe, es sei ausreichend. Mein Sushi – Kollege nebenan legt eine skeptische Mine auf. Was er sagt, verstehe ich nicht. Was soll ich denn nun schon wieder falsch gemacht haben? Mit selbstverständlicher Mine führe ich die Tasse zum Wasserhahn, bediene die Taste und lasse die Tasse voll laufen. Ein bisschen Rühren, und schon ist der Tee fertig. Dieser erschien zwar auf den ersten Blick etwas intensiv in der Farbe, sonst gab es aber keine Alarmzeichen.
Dies änderte sich allerdings schlagartig, als ich den ersten Schluck in der Gurgel hatte. Das Gebräu war so stark, dass ich erst knallrot anlief und anschließend einen gleichbleibenden Grünton annahm. Mein Nachbar dachte wohl: „Tee machen kann er also auch nicht!“
Was kann man jetzt noch falsch machen? Ja richtig, diese kleinen Schälchen. Die sind einzig für den Ingwer und nicht für die Sojasauce! Die Sauce kippt man bei Bedarf nämlich gleich aus dem Hauptbehälter auf den Fisch.
Trotz aller Umstände bin ich am Ende doch noch satt geworden. Heute ist mein letzter Tag. Um 13Uhr30 geht der Bus zum Flughafen. Jeder fährt in Tokio mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Airport. Ein Taxi kostet etwa 300 Euro und ist nicht schneller. Die „Öffentlichen“ nehmen „nur“ 25 Euro. Auf Nahverkehrsmittel ist in Japan 100% Verlass! Ich habe nirgendwo ein effizienteres gesehen. Busse, Bahnen, Züge – alles gehorcht der Atomuhr, ist auf die Sekunde getaktet. Verspätungen gibt es praktisch nicht.
Und wenn der Japaner sagt „13Uhr30“, dann ist der Bus 13Uhr 29 abfahrbereit und dann legt der Fahrer um 13Uhr29 und 55 Sekunden den Gang ein.
Vorher haben willige Helfershelfer in Uniform und weißen Handschuhen das Gepäck verstaut. Sie stehen nun da draußen, auf einer geistig gedachten Gerade, und warten darauf, dass der Bus sich in Bewegung setzt. In dem Moment, wo der Fahrer den Gang einlegt, machen die Drei einen synchronen, tiefgebeugten Diener. Ich bin über Präzision und Perfektion japanischen Handelns, sowie die Höflichkeit und Freundlichkeit der Menschen hier immer aufs Neue überrascht und begeistert. Sajonara Tokio – ich komme wieder!
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